Created by Susanne Stock

#favouritemodel No. 32 - SCARF - Psychologische Sicherheit

Wir alle kennen unsere physiologischen Bedürfnisse. Wir müssen jeden Tag genug essen und trinken, wir brauchen eine bestimmte Raum- bzw. Außentemperatur, um nicht zu frieren oder zu überhitzen, wir brauchen Luft zum Atmen, wir brauchen Schlaf, um den Körper zu regenerieren. Doch wie sieht es mit unseren psychologischen Grundbedürfnissen aus?

Die moderne neuropsychologische Forschung bringt uns wichtige Erkenntnisse dazu, was ein Mensch braucht, um nicht nur körperlich, sondern auch psychisch gesund zu bleiben. David Rock, Mitgründer des Neuroleadership Institute, hat das sogenannte SCARF Modell entwickelt. In diesem Modell beschreibt er 5 Faktoren, die unser Verhalten beeinflussen. SCARF ist ein Akronym, das aus den Anfangsbuchstaben dieser einzelnen Dimensionen besteht: Status – Certainty - Autonomy – Relatedness – Fairness.

Das Modell basiert auf der Erkenntnis, dass menschliches Verhalten auf grundlegenden biochemischen Prozessen beruht und das unser Gehirn danach strebt, Belohnungen zu maximieren und Bedrohungen zu minimieren. Erleben wir im beruflichen/sozialen Kontext eine bedrohliche Interaktion, schüttet unser Gehirn die Stresshormone Cortisol und Adrenalin aus. Damit setzt es die gleichen Stressmechanismen in Gang, die wir bei körperlichen Schmerzen oder akuter Bedrohung (zum Beispiel durch den viel genannten Tiger, der vor uns steht) erleben. Andersherum reagiert unser Körper bei sozialen Situationen, die wir als angenehm empfinden mit der Ausschüttung von Dopamin, Serotonin, Endorphin oder Oxytocin, was dazu führt, dass wir uns wohl und voller Energie fühlen.

Aus Organisationsperspektive ist dies eine spannende Erkenntnis, da sie Führungskräften und Teams hilft, die verschiedenen Grundbedürfnisse von Mitarbeitern anzuerkennen und eine Kultur zu schaffen, in der Bedrohungen minimiert und Belohnungen maximiert werden. So erhöht sich die Chance, dass es Mitarbeiter:innen gelingt, auf ihre positiven Ressourcen zurückzugreifen und gemeinsam mit dem Team auch in Stresssituationen Wege zu finden, damit umzugehen.

Wenn Führungskräfte und Teamkollegen entsprechend des SCARF Modells handeln und ihre Aktionen auf die Bedürfnisse der jeweiligen Personen anpassen, führt dies zu einem vertrauensvollen Umfeld, in dem Mitarbeiter leistungsfähig sein können.

STATUS

Bei „Status“ geht es um die relative Stellung der Akteure zueinander und um den Einfluss, den die persönlich empfundene Positionierung für ihr individuelles Wohlbefinden und Verhalten hat. Status macht sich dadurch bemerkbar, dass Mitarbeitende das Gefühl haben, anerkannt und wichtig für ihr Team und das Unternehmen zu sein.

Das Statusbedürfnis erfährt durch verschiedene Kontextbedingungen Beachtung, z.B.:

  • Ich erhalte positives Feedback von meinen Vorgesetzten und Kollegen zu meiner Arbeit.
  • Ich halte eine anerkannte Position in der Firma inne, auf der ich als Experte/Führungskraft anerkannt bin.
  • Andere Kollegen fragen mich um Rat.
  • Ich werde in wichtige Entscheidungen eingebunden und habe Zugang zu bestimmten Managementebenen/Entscheidern.
  • Auch äußere Statussymbole wie ein Firmenwagen, Boni, Mitgliedschaften im Fitnessstudio haben einen Einfluss. Da es sich hier um extrinsische Motivatoren handelt, ist ihr Einfluss auf das Belohnungssystems jedoch weniger nachhaltig als der Einfluss der vorangegangen sozialen / interaktiven Einflussfaktoren.

Bedroht wird das Statusbedürfnis zum Beispiel durch folgende Bedingungen:

  • In meinem Team herrscht eine negative Fehlerkultur, in der Misserfolge, Pannen und Irrtümer abgestraft werden, ohne lösungsorientiert nach vorne zu schauen. In solch einem Fall ist es wahrscheinlich, dass z. B. Feedbackgespräche mit meinem Vorgesetzten oder auch mit den Kollegen als bedrohlich wahrgenommen werden und in der Tendenz von mir nicht proaktiv angestoßen werden.
  • In Stresssituationen ist jeder mit sich selber beschäftigt. Stressoren sowie persönliche Emotionen werden nicht angesprochen. In solch einem Fall würde ich eher versuchen, meine Ängste und Frustrationen für mich zu behalten. Das Offenlegen meiner Emotionen könnte dazu führen, dass mein Ansehen/Status bei den anderen sinkt, wenn ich „Schwäche“ zeige.

Um das Statusbedürfnis und damit auch die Resilienz ihrer Mitarbeitenden zu stärken, sollten Führungskräfte dieses Verhalten der Mitarbeitenden einordnen können und reflektieren, wie sie den Rahmen verändern können. Mitarbeiter brauchen den Raum und die Offenheit, um sich ohne Abwertung über aktuelle Stresssituationen auszutauschen, um zu erkennen, dass sie mit der Situation nicht alleine sind und sich im Team gegenseitig unterstützen können. Regelmäßiges, lösungsorientiertes und positives Feedback erhöht kontinuierlich den Selbstwert der Mitarbeitenden.

CERTAINTY (SICHERHEIT)

Hinter Certainty steckt das Bedürfnis, nächste Schritte ein stückweit vorhersagen zu können und somit ein Gefühl der Kontrolle und Sicherheit über sein Leben zu erhalten. Größere Veränderungen führen oftmals dazu, dass dieses Bedürfnis aus der Balance gerät.

Gefördert wird das Sicherheitsbedürfnis durch:

  • Klare Prozesse und Vereinbarungen, an die das Team sich hält.
  • Ich kann darauf vertrauen, dass ehrlich kommuniziert wird und Versprechen auch eingehalten werden (Walk the Talk).
  • Unsicherheiten werden zeitnah besprochen und angegangen.
  • Ich vertraue meinem Team und dem Management, dass man mit schwierigen Situationen konstruktiv umgehen wird.

Bedroht wird das Sicherheitsbedürfnis zum Beispiel durch:

  • Unklare Ziele im Team. Jeder arbeitet gemäß seiner eigenen (hidden) Agenda.
  • Bei Veränderungsprozessen werde ich wochen-, vielleicht sogar monatelang im Dunkeln gelassen. Es gibt keinen Prozess im Team, um diese Unsicherheiten zu besprechen oder anzugehen.
  • Ich kann mich nicht auf die Dinge verlassen, die vom Management oder von Kollegen kommuniziert werden.

Untersuchungen zeigen, dass eine kontinuierliche Bedrohung unseres Sicherheitsbedürfnisses sogar negative Auswirkungen auf unser Arbeitsgedächtnis haben können und die Konzentrationsfähigkeit sinkt. Im Team ist es demnach wichtig, Rahmenbedingungen zu schaffen, in der kontinuierliche Transparenz über die Ziele im Projekt hergestellt und gegenseitige Erwartungen geklärt werden. Bei Veränderungsprozessen ist es hilfreich, immer wieder Review-Meetings zu initiieren, die den Mitarbeitenden dabei helfen zu sehen, welche Schritte/Meilensteine schon erreicht wurden und welche Teilziele noch zu erreichen sind. So wird die Veränderung überschaubar und es stellt sich ein Gefühl der Kontrolle ein.

AUTONOMY

Bei der Autonomie geht es um meinen Grad der Freiheit und die Möglichkeit zur Mitgestaltung und Selbstbestimmung. Wie alle Bedürfnisse ist auch dieses sehr individuell ausgeprägt.

Förderlich für das Bedürfnis der Autonomie im Arbeitskontext sind folgende Bedingungen:

  • Ich kann über meinen Arbeitsbereich frei entscheiden.
  • Ich kann meine Arbeitsmethoden gemäß meinen Präfenzen frei wählen. Will ich also eher im Home-Office, im Büro oder Hybrid arbeiten? Kann ich meine Arbeitszeiten frei einteilen? Darf ich Arbeitstools (Software, Hardware, Werkzeuge etc.) gemäß meinen Präferenzen wählen?
  • Ich kann gemäß meinen Talenten und Fähigkeiten arbeiten.
  • Ich habe die Gelegenheit, meine Perspektive äußern zu können. Meine Ideen haben Einfluss auf die Entscheidungen, die getroffen werden.

Bedrohlich für das Autonomiebedürfnis sind zum Beispiel folgende Bedingungen:

  • Meine Arbeitsumgebung sowie die Arbeitsprozesse sind strikt reglementiert. Alles muss nach Arbeitsanweisung umgesetzt werden, es gibt keinerlei Möglichkeiten, mich selber, meine (Verbesserungs-)Ideen oder persönliche Routinen einzubringen.
  • Meine Perspektive wird nicht eingeholt oder ignoriert.
  • Verbesserungsvorschläge werden nicht umgesetzt.

Um Mitarbeitenden ein Gefühl der Autonomie zu vermitteln, braucht es im ersten Schritt eine vollumfängliche Delegation von Aufgaben an die Mitarbeiter. Sie sollten Handlungsspielräume haben und die Verantwortung für die konkrete Art und Weise der Umsetzung der Aufgabe erhalten. Mikro-Management und ständiges Eingreifen in Arbeitsprozesse kann für Mitarbeitende sehr demotivierend wirken.
Bei Veränderungsprozessen sollten Führungskräfte dafür sorgen, dass die Teammitglieder von Anfang an mitgestalten können und somit die Veränderung zu ihrer Veränderung machen können. Wenn ein Team die eigene Zukunft mitgestalten kann, hat dies einen sehr positiven Effekt auf das Empfinden von Autonomie und Selbstwirksamkeit. Dies stärkt das Teamgefühl, den Energiehaushalt des Teams und somit langfristig den resilienten Umgang mit eventuell auftretenden Unwägbarkeiten.

RELATEDNESS (SOZIALE BEZIEHUNGEN)

Das Bedürfnis nach Verbundenheit beschreibt das Gefühl einer Gruppe zugehörig zu sein und sich mit den Kollegen wohlzufühlen. Wenn in einem Team Vertrauen entsteht, können Themen offener ausgesprochen werden, die Leistungsfähigkeit und Lösungsorientierung steigt. Eine positive Teamatmosphäre gibt individuell Schutz und führt gleichzeitig dazu, dass Teammitglieder versuchen, ihre Gruppe zu schützen. Es wird der Botenstoff Oxytocin ausgeschüttet, der die Bindung innerhalb der Gruppe verstärkt. Fühlt sich ein Teammitglied jedoch ausgeschlossen, werden im Gehirn die gleichen Bereiche aktiviert, die sonst bei physischem Schmerz aktiviert sind. Das Gefühl von Einsamkeit entsteht.

Das Bedürfnis nach Verbundenheit kann gesichert werden durch:

  • Die Förderung von zwischenmenschlichem Kontakt. Es ist erlaubt und gelebte Praxis über Herausforderungen genauso zu sprechen wie über Dinge, die im Projekt Spaß und Freude gebracht haben.
  • Das Team tauscht sich auch außerhalb der offiziellen Meetings aus, bei (virtuellen) Kaffeepausen, in Eins-zu-Eins Gesprächen oder bei Teamevents, die gemeinsam organisiert werden.
  • Das Team lebt eine Kultur des aktiven Zuhörens. Man lässt sich aussprechen und achtet darauf, dass alle Teammitglieder genügend Raum erhalten, um sich zu öffnen bzw. die Redeanteile in Meetings in etwa gleich verteilt sind.

Das Bedürfnis nach Verbundenheit wird verletzt, wenn:

  • Es keinen regelmäßigen Austausch im Team gibt.
  • Bei Diskussionsrunden nicht alle Perspektiven gehört werden, sondern immer nur die gleichen Personen ihre Gedanken vortragen. Durch fehlende Moderation und Einbeziehung der stilleren Teammitglieder geht diesen der Kontakt zum Team verloren.
  • Es herrscht eine Teamkultur, in der eher über andere geredet wird als mit anderen zu sprechen.
  • Die Führungskraft ist kaum (virtuell) verfügbar. Es gibt keine regelmäßigen Eins-zu-Eins Gespräche mit den Teammitgliedern, sodass keine echte Bindung zwischen Führungskraft und Teammitgliedern entstehen kann.

Führungskräfte sollten eine Kultur des Miteinanders fördern, in der nicht die Projekte von jedem Einzelnen im „stillen Kämmerlein“ abgearbeitet werden, sondern in der Transparenz darüber herrscht, wo es sinnvolle Überschneidungen / Möglichkeiten der Zusammenarbeit gibt. Der Austausch bei Kaffeepausen oder Teamevents sollte gefördert werden, sodass die Gruppe ein Gefühl der Verbundenheit entwickelt. Gleichzeitig sollte die Führungskraft ein Auge darauf haben, wie die verschiedenen Verbundenheitsbedürfnisse im Team aussehen. Auch hier gibt es Unterschiede und nicht jeder fühlt sich wohl damit, viel Privates preiszugeben. Es gilt diese Diversität im Team zu wertschätzen und nicht abzuwerten, sodass jedes Teammitglied sich so viel oder wenig öffnen kann, wie es benötigt.

FAIRNESS

Bei dieser Dimension geht es um die Frage, wie gerecht ich mich im Vergleich zu anderen behandelt fühle. Menschen haben feine Antennen für faire oder unfaire Verhaltensweisen, beobachten ihre Arbeitsumgebung genau und stellen (unbewusst) einen stetigen Vergleich mit sich und ihren Mitmenschen an.

Dem Bedürfnis nach Fairness kann entsprochen werden durch:

  • Das Team tauscht sich über die verschiedenen Bedürfnisse aus und stellt darauf basierende eigene Regeln zur Zusammenarbeit auf.
  • Es gibt einen transparenten Umgang mit Informationen.
  • Unliebsame Aufgaben werden gerecht im Team verteilt.
  • Überstunden oder besondere Leistungen werden gerecht entlohnt.

Das Bedürfnis nach Fairness wird bedroht durch Verhaltensweisen wie:

  • Entscheidungen wirken willkürlich oder werden nicht ausreichend begründet.
  • Es werden immer wieder die gleichen Teammitglieder für die spannenden neuen Projekte herangezogen.
  • Ein Kollege tut sich mit der Fertigstellung seiner Aufgaben immer wieder schwer, was die Unterstützung durch das Team erforderlich macht. Was zunächst als kollegiale Hilfestellung anfängt, kann nach einiger Zeit von den Kollegen als unfair empfunden werden, da sie regelmäßig länger und mehr arbeiten müssen.

Um eine faire Teamkultur zu fördern, ist es wichtig, dass das ganze Team transparent mit Informationen umgeht. So können als unfair wahrgenommene Situationen offen angesprochen und gelöst werden. Wenn Mitarbeitende sich unfair behandelt fühlen und diese Situation lange vor sich hin schwelt, kann dies einen großen Effekt auf die Motivation und Resilienz im Team haben und auch die anderen SCARF Dimensionen, insbesondere Relatedness und Status, negativ beeinflussen.

Das SCARF Modell bietet viele Möglichkeiten, um im ersten Schritt seine eigenen Bedürfnisse zu reflektieren und dann die Bedürfnisse der Teamkollegen besser zu verstehen. Stelle das SCARF Modell doch einmal in deinem Team vor und sprecht darüber, wie jeder für sich die SCARF Dimensionen einschätzt. Danach könnt Ihr gemeinsam nach Möglichkeiten suchen, die Bedrohungen der SCARF Dimensionen für euch im Team zu reduzieren und die Belohnungen zu maximieren. Viel Erfolg dabei!

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