Erstellt von Susanne Stock

#favouritemodels No. 26 - Systemische Perspektive auf Konflikte

Wie kann mein Kollege sich so unmöglich verhalten? Der bringt doch das ganze Team durcheinander!

Bei Konflikten im Team passiert es schnell, dass sich uns individuelle Verhaltensweisen anderer nicht mehr erschließen. Sie erscheinen irrational, nicht mehr zielführend, ja manchmal sogar böswillig. Häufig suchen wir dann als ersten Impuls die vermeintliche „Lösung“ bzw. den Kern des Problems in der Person: „Vielleicht will mein Kollege uns ärgern?“ „ Er hat bestimmt eine „hidden agenda“ oder „Mit dem stimmt doch irgendwas nicht.“

Personale Zuschreibungen sind natürlich eine Möglichkeit den Konflikt zu erfassen. Doch oftmals bringen sie uns nicht so richtig weiter und forcieren ihn eher noch. Gut möglich, dass man bestimmte Personen irgendwann einfach „abschreibt“ und ihnen nicht mehr die Möglichkeit gibt sich zu erklären oder auch ihre Stärken zu sehen.

Die systemische Perspektive auf Konflikte zeigt uns einen anderen Weg auf.

Hier geht es darum, den Blick nicht zu verengen und nur auf die Person zu schauen, sondern den Blick eher weit zu machen und den gesamten Kontext des Konflikts zu betrachten. Aus dieser Perspektive ergeben sich vor allem Fragen wie z.B. "Wie erkläre ich das Auftreten eines Konflikts?" und "Welche Intervention wäre möglich und sinnvoll, die Lösungsfindung des Konflikts zu unterstützen?". Die Antworten auf diese Fragen können sehr vielfältig sein, da sie vom individuellen Verständnis eines Konflikts abhängig sind. So macht es einen wesentlichen Unterschied, ob eine Führungskraft hinterfragt, "Wofür steht dieser Konflikt?" oder "Wer ist schuldig?". Die zweite Frage reduziert den Konflikt eher auf individuelle Eigenschaften des vermeintlichen Aggressors. Die Frage "Wofür steht dieser Konflikt?" hingegen meint, so neutral wie möglich den Sachverhalt im Gesamtzusammenhang zu analysieren und die Handlungen, Hintergründe und Motive aller Beteiligten in ihren Wechselwirkungen zu erforschen. Somit stellt sich der Konflikt eher als eine - wenn auch nicht konstruktive - Antwort auf einen aktuellen Zustand zwischen den Beteiligten dar. Vielleicht erscheint er ihnen derzeit schlicht als einzige Möglichkeit, die sie sehen. Damit könnte der Konflikt auch als ein Auslöser für Veränderung genutzt werden. Denn wo immer Beobachter mit ihren unterschiedlichen Wirklichkeitskonstruktionen aufeinandertreffen, sind Konflikte unvermeidlich. Man kann auch sagen, Konflikte gehören zum Leben und sind nicht ausschließlich furchtbar – sondern können ebenso im Ergebnis höchst fruchtbar sein. Im  Umgang mit Konflikten ist es eine Frage individueller Bewertung, welche Seite dieser Ambivalenz betont wird. Eine systemische Annäherung eröffnet uns dabei vielfältige Spielräume für wirkungsvolles und gestaltendes Handeln (nicht nur) von Führungskräften.

Wichtige Fragen in dieser Annäherung

Wie triggert und stabilisiert der Gesamtkontext (in der Organisation/im Team) das konfliktäre Verhalten?

Beispiel: Eine neue Kollegin im Team erhält von Ihrem Chef einen großen Vertrauensvorschuss und soll das Produktportfolio modernisieren und fit für die Zukunft machen. Der bisherige Produktmanager war in diese Entscheidung nicht einbezogen und es gab auch keine offizielle Ankündigung in der Abteilung zur neuen Rollenaufteilung. Fortan erhält die neue Kollegin regelmäßig böse E-Mails vom Produktmanager und wird aus wichtigen Meetings rausgehalten.Dieses Beispiel zeigt, dass unklare Kommunikation und fehlendes Führungsverhalten den Konflikt triggern und langfristig aufrecht erhalten. Mit einer Ausrichtung auf die „Schuldfrage“ ist die Wahrnehmung jedoch: Der Produktmanager ist schwierig. So kurz vor der Rente will man das lösende Gespräch mit ihm nicht mehr suchen, also hält man die Situation einfach aus und meidet den Produktmanager so gut es geht (was den Konflikt weiter stabilisiert).

Was ist die Funktion dieses Konflikts? Wofür steht er?

In unserem Beispiel steht der Konflikt für eine unklare Rollenverteilung. Gleichzeitig sind wichtige Prinzipien der Zusammenarbeit im Team nicht geklärt: Wie sorgen wir dafür unsere Produkte zukunftssicher zu machen? Wie sorgen wir für einen Wissenstransfer zwischen den verschiedenen Generationen? Wie gehen wir offen mit Konflikten im Team um? Dass eine Kollegin auf einmal in seinen Arbeitsbereich eingreift führt dazu, dass der erfahrene Produktmanager das Gefühl bekommt „sich wehren“ zu müssen. Da Konflikte im Team aber nicht offen ausgesprochen werden, nutzt er Mittel, die auf die anderen recht „aggressiv“ wirken und dazu führen, dass der Konflikt eher als persönliche Fehde zwischen ihm und der neuen Kollegin wahrgenommen wird.

Wenn ich die systemischen Zusammenhänge eines Konflikts erkenne, ist es für alle Beteiligten oftmals einfacher Lösungen für den Konflikt zu entwickeln. Der Blick weg vom Individuum hin zum Kontext kann erhitzte Gemüter beruhigen und einen sachlicheren Blick auf den Konflikt fördern. So geht es am Ende dann eben nicht mehr darum, „den schwierigen Kollegen“ zu verändern, sondern vielmehr darum einen Kontext zu schaffen, in dem Rollen geklärt werden und es den Mitarbeitern ermöglicht wird in einem sicheren Rahmen Prinzipien der Zusammenarbeit zu entwickeln.

Wie hilft mein favouritemodel dir?

Die systemische Perspektive auf Konflikte habe ich letztens in einem Team Workshop genutzt. Es gab relativ großen Unmut im Team aufgrund des dominanten Verhaltens der Führungskraft. Die systemische Perspektive hat dem Team geholfen von den Schuldzuweisungen loszukommen und eher darüber nachzudenken, wie der stark reglementierte Unternehmenskontext das Verhalten triggert. Interessant war auch die Erkenntnis, dass das Verhalten der Teammitglieder ebenfalls die Dominanz des Chefs aufrechterhalten hat. Die Teammitglieder haben sich in vielen Diskussionen eher zurückgelehnt und den Chef machen lassen. Der Unmut über die Situation wurde nur mit vertrauten Kollegen besprochen, aber nie offen im Team diskutiert. Dies hat das Verhalten der Führungskraft weiter stabilisiert. Durch diese Einsicht und neue Verhaltensregeln im Team können alle Beteiligten nun besser mit der Situation umgehen. Die Führungskraft arbeitet daran Dinge wirklich abzugeben und zu delegieren und die Teammitglieder arbeiten daran, offen über ihre Wünsche nach mehr selbstbestimmter Arbeit zu sprechen.

Einige Reflexionsfragen für die systemische Perspektive auf Konfliktlösungen sind:

  • Wo liegen mögliche Ursachen für den Konflikt?
  • Welchen möglichen Sinn, welche Funktion hat der Konflikt für die Beteiligten?
  • Welches Verhalten trägt zur Aufrechterhaltung des Konfliktzustandes bei?
  • Wie lässt sich das Verhaltensmuster unterbrechen oder durch anderes Verhalten ersetzen?
  • Was vereinbaren wir, falls wir in alte Muster zurückfallen?

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